AUS DEN AUGEN…AUS DEM SINN… und dann kommt das böse Erwachen
Heute möchte ich einmal einen sehr tragischen Denkfehler zum Thema Offenstall beleuchten, dem ich vor allem im Winter immer mal wieder begegne.
Pferde begleiten uns oft über eine sehr lange Zeit. Viele meiner KundInnen haben ihr Pferd als junges Tier bekommen und dann über Jahre als Reitpferd und Freizeitpartner genutzt. Die allermeisten Pferde werden zu diesem Zweck in Pensionsbetrieben mit Boxenhaltung eingestellt. Man könnte an dieser Stelle jetzt viel (vor allem Kritisches) über diese Haltungsform schreiben. Darum geht es mir aber nicht. Reitpferde werden nun einmal in der direkten Nachbarschaft von Reithallen, Reitplätzen und der weiteren üblichen Infrastruktur untergebracht und die findet man in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland nun einmal nicht immer in naturbelassener Landschaft mit endlosen Weiden und Auslauf.
Je besser die Unterbringung desto teurer ist sie
Wenn es gut läuft bekommt das Pferd eine schöne große Box, täglich frisches Einstreu, Auslauf auf Paddock und Weide und Besuch von seinem Menschen und damit Bewegung, Training, Abwechslung. Je besser im Sinne von artgerecht die Unterbringung, desto geringer ist in solchen Anlagen in der Regel auch die Fluktuation, so dass die Pferde Gelegenheit bekommen, richtige Pferdefreundschaften einzugehen. Aber das alles hat auch seinen Preis. Vor allem in Ballungsgebieten sind solche Ställe teuer.
Offenstall gleich Tierschutz?
Und dann kommt irgendwann der Tag, an dem das Pferd nicht mehr als Reitpferd genutzt werden kann. Es ist zu alt, es hat sich verletzt, oder die Situation des Menschen hat sich grundlegend verändert (Familie, Jobverlust) was auch immer…Und dann entdecken die Besitzer auf einmal ihr „Tierschutzgewissen“. Wäre es nicht eine tolle Idee, das Pferd jetzt in einen Offenstall zu bringen? Das ist doch viel artgerechter und billiger. Und das Experiment Offenstall, mit dem man keine Erfahrungen hat und dem man früher immer sehr skeptisch gegenüberstand, wird gewagt.
Ja! Es ist eine tolle Idee, wenn man seinem Pferd aus Dankbarkeit einen schönen Lebensabend ermöglichen möchte. Tut das! Auf jeden Fall! Und ja es ist eine tolle Idee sein Pferd so artgerecht wie möglich zu halten. Aber überfordert eure Pferde nicht. Häufig habe ich es erlebt, dass Pferde in Situationen der eigenen Schwäche (Alter, Verletzung etc.) aus ihrem vertrauten Umfeld herausgerissen wurden und übergangslos von jetzt auf gleich in die neue Offenstall-Haltungsform umgetopft wurden. Es dauerte dann nur wenige Wochen bis das Experiment genauso schnell wieder abgebrochen werden musste, weil das Pferd abgemagert, mit Bisswunden und verletzter Seele wieder aufgestallt und aufgepäppelt werden musste.
Generell ist jeder Stallwechsel Stress für das Pferd
Besser ist es da natürlich, wenn das Pferd diesen Wechsel aus einer Ausgangssituation der Stärke und nicht der Schwäche macht. Also in puncto Alter nicht zu lange warten, nach einer Verletzung die Rekonvaleszenzphase abwarten…Den Wechsel im Frühjahr angehen und nicht bis zum Ende der Weide- oder Ausreitsaison warten.
Seht euch die neue Herdenzusammensetzung genau an. Hat das eigene Pferd hier wirklich eine Chance? Besteht die Möglichkeit einer langsamen, schrittweisen Eingliederung? Oder kann euer Pferd vielleicht mit einem Freund zusammen wechseln?
Mein Rat an dieser Stelle
Pferde, die Jahre lang in Boxenhaltung gelebt haben, sind daran gewohnt einen trocken ungestörten Platz zum Liegen/Schlafen zu haben. Gibt es in dem anvisierten Offenstall einen Unterstand, der für alle reicht? Gibt es einen trockenen Platz zum Liegen. Das kann auch ein ausgebreiteter Heuballen sein. Aber wenn es gar nichts gibt, nur Wiese, die sich bei schlechtem Wetter in eine feuchte Matschlandschaft verwandelt, dann wird es eng! Zumindest für Warm-und Vollblüter. Hier ist der Wechsel in einen Rentnerstall, in dem die Pferde nachts aufgestallt werden (idealerweise im großen Laufstall) und tagsüber auf die Weide kommen einfach besser. Inzwischen bieten auch immer mehr Aufzuchtbetriebe Plätze für Rentner an. Es gibt immer und für alles Möglichkeiten. Seht euch rechtzeitig um, informiert euch, sprecht mit Leuten, die viel Erfahrung haben, dann könnt ihr euren Pferden fragwürdige Experimente ersparen.